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Joachim Nagl mit United Hunters-Moonlight vom Lech-Toller Nest

Gefühlswelten am Tag der 1. Vereins-Schweißprüfung (R/SwP) der LG Süd im DRC e.V.

Es ist Sonntag, der 30. Mai 2021. Die LG Süd hatte eingeladen zu ihrer ersten Vereins-Schweißprüfung.

Es ist sehr früh hell und die Sonne erleichtert mir das Aufstehen. Ich überprüfe noch kurz meine Unterlagen und Ausrüstung und lade meinen NSDTR-Rüden TJ in mein Auto und mache mich auf den Weg zum Treffpunkt. Ich starte viel zu früh, kann aber dafür noch einen ausgiebigen Spaziergang mit meinem Hund genießen und bin 25 Minuten vor der Zeit auch der erste am Treffpunkt.

Dort treffe ich 3 weitere Retrieverführer und 3 sehr erfahrene Richterinnen und Richter, die ich bereits aus früheren Prüfungen kenne. Ich kann einschätzen: Es wird uns nichts geschenkt, aber fair gerichtet.

Die Abgabe der Papiere und Überprüfung der Chipnummer geht flott und ich darf als Erster eine Startnummer ziehen. Ich hoffe auf eine niedrige Startnummer und ziehe die 4; bin somit der letzte Starter im Feld und habe die längste Zeit zum Warten und nervös zu werden.

Nach einer kurzen Fahrt im Konvoi mit 7 Autos sind wir im Revier. Die Richter „verschwinden“ für die erste Fährte mit dem ersten Hundeführer-Gespann. Das Warten hat begonnen. Eine weitere kurze Runde mit meinem Rüden und angenehme Gespräche mit den 2 wartenden Retrieverführern verkürzen zwar nicht die Zeit bis zur Rückkehr des ersten geprüften Gespanns, tragen aber dazu bei die Nervosität niedrig zu halten.

Nach nahezu 90 Minuten erhalten wir die Information, dass es beim ersten Gespann leider nicht geklappt hat die Fährte bis zum Ziel auszuarbeiten und das zweite Team verlässt den Sammelplatz mit den Richtern, um sich der Aufgabe zu stellen. Nach weiteren 90 Minuten kommen die Prüfer erneut mit einer schlechten Nachricht zurück; auch das 2. Team hat sein Ziel nicht erreicht.

Wir fahren an einen anderen Sammelpunkt und ich warte allein weitere 90 Minuten auf die Rückkehr des Trosses.

Dann bin ich endlich an der Reihe. Herr Luick, ein Richter vom Verein für Kleine Münsterländer e.V., holt mich ab und auf dem Weg zum Anschuss erfahre ich, dass es leider auch dem 3. Hundeteam heute nicht gelungen ist ans Stück zu kommen. Ich „verdaue“ diese Information und fühle eine erhöhte Anspannung; eine Prüfung, bei der Keiner besteht, wäre ein schlechtes Szenario. Ich konzentriere mich in dem ich mir meine vielen Trainingseinheiten in Erinnerung rufe und mir klar mache, dass mein Hund alle Voraussetzungen mitbringt, mich ans Ziel zu bringen.

Die letzten Meter vor dem Anschuss sind dornig. Ich verheddere mich ein paar Mal, aber meinen Hund stört es nicht; er ist voll konzentriert und wir spulen das Repertoire ab, welches einer Schweißarbeit vorausgeht – Hund das Geschirr anlegen, den Riemen auswerfen, Hund ablegen, zum Anschuss gehen und untersuchen, Bruch entfernen – den Hauptakteur heranholen.

TJ nimmt die Spur auf und geht los. Der Riemen hat die volle Länge, als ich denn ebenfalls loslaufe. Er geht zielstrebig und ich folge ihm mit 8 Meter Abstand. Mit jedem Meter, den er auf der Fährte mit niedriger Nase arbeitet schwinden meine Bedenken. Die ersten Verweiserpunkte und Ecken zeigt er mir exakt an. Auch die Verleitungen kann ich erkennen – er verlässt die Fährte ca. 3 Meter nach links und dann auch nach rechts, dreht um und konzentriert sich wieder auf die Geruchsspur.

Die Untergründe wechseln von Binsen auf Erde, es geht über Totholz und diverse Äste, auf denen ich meinen Hund aus den Augen lassen muss um diese Hindernisse unbeschadet zu überwinden. Es werden Wege gekreuzt, Gräben überquert, hoher und niedriger Bewuchs wechselt mit purem trockenem Waldboden. Mein Gefährte arbeitet heute wie auf Schienen und nach ca. 600 Meter habe ich keine Zweifel mehr, dass wir die Prüfung mit Bravour meistern. Ich schwebe quasi über den Wolken.

Gefühlt habe ich 900 Meter hinter mir, als er mir den 6. Verweiserpunkt mit einer Bewegung seines Kopfes anzeigt und dann nach rechts den leichten Hang Richtung Straße hochzieht. Ich bin mir sicher, dass er weitere 30 Meter voll auf der Fährte ist und bin dann erstaunt, dass er die Nase hochnimmt und scheinbar die Spur verloren hat. Ich schaue nach vorne und hoffe, dass ich das ausgelegte Stück eräugen kann. Leider kann ich nichts sehen, werde unsicher und beschließe zum letzten Verweiserpunkt zurückzugehen und dort nochmals den Hund anzusetzen. Auf dem Rückweg sieht der Wald aber völlig anders aus und ich finde den Verweiserpunkt nicht. Um den Untergrund nicht noch weiter mit Bodenverletzungen zu „verseuchen“ lege ich den Hund ab und gönne ihm eine kurze Ruhepause und gebe ihm Wasser, damit sich seine Schleimhäute wieder reinigen können.

Dort wo ich den Verweiserpunkt ungefähr vermute lasse ich meinen Gefährten wieder die Arbeit aufnehmen und nach kurzer Suche zieht er wieder an. Wieder in die gleiche Richtung wie schon vorher. Also doch die richtige Fährte? Ich folge ihm erneut bis annähernd zur selben Stelle wie vorher. Erneut schnuppert er mit hoher Nase. Mein Hund findet einen ausgeblichenen Unterkiefer eines ca. 5-jährigen Rehs und apportiert mir diesen. Leider ist es nicht das gesuchte Stück.

Meine Hochgefühle sind weg. Fast unmerklich aber immer intensiver schleicht sich Unsicherheit bei mir ein, da ich die Signale meines Lieblings nicht mehr eindeutig interpretieren kann. „Nach dem bisherigen Verlauf darf es aber nicht sein, dass es hier so endet!“ schießt es mir in den Sinn und ich sortiere meine Möglichkeiten. Ich denke erneut darüber nach, dass ich vermutlich nur noch maximal 50 Meter bis zum Ziel habe und mein treuer Gefährte das abgelegte Reh bereits in der Nase haben könnte und wage mich mit meinem Hund noch weitere 10 Meter in Richtung Straße, die weitere 50 Meter entfernt bereits zu erahnen ist.

Und da passiert es.

Ich bekomme einen Abruf und werde zurückgeführt bis zum letzten Verweiserpunkt.

Erneut gönne ich meinem Hund eine Ruhephase mit Wasser und denke in der Zwischenzeit darüber nach, wie ich weiter mache – rechts hoch war verkehrt, vor mir habe ich bereits weitere Bodenverwundungen hinzugefügt und die Geruchspartikel kontaminiert. 50 Meter vor mir beginnt ein Waldweg mit 2 Spuren und in der Mitte hohes Gras. In meinen Trainings bin ich sehr selten Wege entlanggelaufen und fürchte, dass die Fährte doch nicht geradeaus, sondern eher nochmals nach links gehen muss. Aber es hilft nichts. Wenn einer von uns beiden die Fährte wiederfinden kann, dann ist es mein Hund. Ich muss und ich will mich auf ihn verlassen. Nochmals reinigendes Wasser und dann tasten wir uns nach vorne und ich beobachte ihn genau. Am Waldweg mit den ausgefahrenen Fahrspuren und hohem Gras in der Mitte und links und rechts angekommen wird TJ scheinbar etwas zielstrebiger. Dann wechselt er die Spur auf dem Weg von links nach rechts und zieht wieder an. Haben wir die Fährte wiedergefunden? Der Weg biegt nach rechts ab und TJ folgt dieser zunächst für 3 Meter, kommt zurück und geht dann geradeaus. – Weitere 10 Meter entfernt vergräbt er seine Schnauze in der Erde. Als ich herankomme sehe ich, dass er das 2. Wundbett gefunden hat. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen – er frisst jeden dort deponierten Lungenfetzen und hat seine Nase wieder gefüllt mit dem Schweißduft und nimmt seine Arbeit zielstrebig und mit vollem Elan wieder auf. Jegliche Erschöpfung ist wie wegegeblasen und wir steuern auf eine Schonung mit sehr dichten 4 Meter hohen Tannen zu. Im Training hatten wir viele Tannenschonungen schon durchlaufen, aber meist waren diese nur 1,5 Meter hoch und ich konnte schnell folgen. TJ zieht mitten durch – ich bin mir absolut sicher, dass er auf der Fährte ist – aber um dort durchzukommen muss ich mein Gesicht schützen und lasse den Riemen los.

Auf halbem Weg durch die Schonung kommt mir TJ zurück. Ich entnehme seinem Blick die Fragen „Wo bleibst Du? Ich war doch richtig, oder?“ und schicke ihn wieder voran. Etwa 5 Meter hinter der Schonung wartet er und schaut zu mir zurück. Ich höre ihn förmlich sagen: „Was ist? Geht’s endlich weiter?“. Ich ergreife den Riemen im hinteren Drittel und TJ setzt sich sofort in Bewegung  als er spürt, dass ich über den Riemen wieder mit ihm verbunden bin. — Was für ein Teamplayer!!! —

Es geht in zügigem Tempo weiter und nach der nächsten Biegung kann ich das abgelegte Schmalreh in ca. 40 Meter Entfernung sehen. Mein Rüde ist 8 Meter vor mir am Ziel und überlegt gerade, wie er mir das kleine Reh apportieren kann. Das ist aber nicht nötig, denn schon bin ich bis zum Ziel gefolgt und vor lauter Freudegedanken „Wow – wir haben es geschafft“ habe ich fast vergessen, dass TJ sich eine kleine Belohnung in Form eines Katzendöschens verdient hat und die er freudig annimmt und verschlingt.

Alle drei richtenden Begleiter freuen sich mit mir und ich erhalte einen Bruch für mich und meinen Hund mit einem herzlichen „Waidmannsheil! Tolle Arbeit“ überreicht.

Ich sage ein dankbares „Waidmannsdank“ an die beiden Richterinnen und den Richter und nach einem Erinnerungsbild machen wir uns auf zum Rückweg zum Auto

Dank gilt natürlich auch dem Revierinhaber, der sein Revier mit seinen sehr vielseitigen Untergründen für die 5 Fährten (davon eine Reservefährte) des Tages zur Verfügung gestellt hat.

Insbesondere danke ich auch ganz besonders meiner Frau Ute, die mich in der Vorbereitung auf die Prüfung unermüdlich intensiv und kompetent unterstützt hat und ohne ihre Hartnäckigkeit ich diese Prüfung nicht gemeldet und gelaufen wäre.

 

Joachim Nagl mit TJ (United Hunters-Moonlight TJ vom Lech-Toller Nest)

Ein Prüfungsbericht einer R/SwP mit allen Höhen und Tiefen, die der Prüfling dabei durchlebt hat, findet sich hier.